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Birgit Kolb-Binder

Birgit Kolb-Binder, Gastronomin und Vizepräsidentin Dehoga Niedersachsen

"Ich habe das Talent, Talente zu finden."

Ihre Familie ist seit Beginn des 17. Jahrhunderts in der Gastronomie aktiv – und doch hat Birgit Kolb-Binder erst über Umwege in die Branche gefunden. Gerade das hat ihr zum Erfolg verholfen. Heute ist sie Chefin mehrerer Häuser mit unverkennbarer Handschrift. Als Vizepräsidentin des Dehoga Niedersachsen steuert sie die Branche durch schwieriges Fahrwasser.

Birgit Kolb-Binder

„Ich bin schon dominant.“ So beschreibt sich Birgit Kolb-Binder – gleichermaßen selbstbewusst wie selbstkritisch. „Das liegt bei uns in der Familie. Auch mein Vater war ein Alphatier.“ Er, mit dem sie viele Eigenschaften teilt, folgte in den Fünfzigerjahren seinem Bruder von Köln nach Juist, um vom florierenden Küstentourismus zu profitieren. Schnell ist aber klar: Für zwei Kolbs ist die Insel zu klein. Ihr Vater eröffnet mit dem Fässchen ein Speiserestaurant auf Langeoog, kurz darauf kommt – noch in Köln – Tochter Birgit zur Welt. „Ich hatte eine fantastische Kindheit“, blickt sie zurück. „Ich habe die Insel immer geliebt.“ Mit ihren Schwestern wächst sie behütet und doch frei auf der autolosen Insel auf. In der Saison –damals von Ostern bis Oktober – rückt die Familie eng zusammen: Jedes zusätzliche Schlafzimmer für Gäste bringt Umsatz. Den Kindern macht das nichts, ihr Leben spielt sich am Strand ab.

„Meine schönsten Sommerferien hatte ich mit 16 Jahren. Ich bin mit einem Freund von Insel zu Insel zu jeder Regatta gesegelt, habe in den Häfen oder am Ostende übernachtet. Mein Vater war ziemlich cool und hat überall Kollegen angerufen, die uns versorgten.“ Ein Alphatier also, das vertraut und zutraut. Werte, nach denen auch Birgit Kolb-Binder bis heute handelt. Die Eltern lassen die noch minderjährige Tochter sogar ins ferne Berlin ziehen. Die Insel wird ihr zu klein, gerade im Winter. Sie interessiert sich für Politik und Philosophie, will unbedingt ein gutes Abitur machen. Und: „Ich habe mit 17 meinen späteren Mann kennengelernt – die Liebe meines Lebens. Er war im Sommer als Saisonarbeiter auf der Insel. Nach Weihnachten war ich in Berlin.“ Sie besucht die Clay-Oberschule, das erste Oberstufenzentrum der Stadt. Die hat 1200 Schülerinnen und Schüler – in etwa die damalige Einwohnerzahl Langeoogs. Die junge Birgit genießt das Kultur- und Stadtleben in vollen Zügen.

Besorg mir einen Laden!

Birgit Kolb-Binder ist eine Frau der schnellen Entscheidungen – schon damals. Sie lässt sich im Steuerbüro ausbilden, spezialisiert sich, trägt bald Verantwortung. Ein Bürowechsel, soll die Überstunden reduzieren, nimmt ihr jedoch die Selbstständigkeit. Schwer auszuhalten für das selbsternannte Alphatier. „Da habe ich meinen Vater angerufen und gesagt: Ich komm’ nach Hause. Besorg mir einen Laden, egal welchen.“ Bei ihrem Vater einsteigen? Keine Option! Im September verkündet, übernimmt sie bereits am 1. Januar 1988 das traditionsreiche Café Leiß. Mit ihrem Mann macht sie alles selbst, von der Renovierung bis zum Service. Da ist sie 22, er 37 Jahre alt. „Zur Eröffnung standen wir beide hinterm Tresen. Und dann fragte mein Mann: Sag mal hast du eigentlich schon mal eine Tasse Kaffee verkauft? Und ich antwortete: Nee. Du?”

Zur elterlichen Coolness hatte auch gehört, dass die Töchter zwar aushalfen, aber nicht ständig im Geschäft waren. Zweifel am Erfolg ihrer Pläne hatte und hat Birgit Kolb-Binder trotzdem nie. „Durch meine Ausbildung habe ich immer die Zahlen im Blick. Und viel investiert, um später davon zu profitieren. Von nichts kommt nichts.“ Mitunter musste sie auch Banken überzeugen. Als sie früh das Hotel des Vaters erbt, weckt der Investitionsstau ihre Liebe zum Design.

„Ich hatte schon immer einen Blick für Schönes. Wenn ich ein Objekt sehe, egal wie verbaut oder verfallen, dann sehe ich sofort, was daraus entstehen kann.“ Eine Kunst, die sie sich über die Jahre erarbeitet hat. Erarbeiten musste. „Ich bin der Typ: heute ausgedacht, morgen umgesetzt.“ Eine Stärke, die Kolb-Binder auch als Schwäche wahrnimmt. Mindestens als Herausforderung. „Ohne so zu handeln käme man sicherlich leichter durchs Leben.“ Aber vielleicht hätte sie dann auch nicht das erste Retro-Design-Hotel der Ostfriesischen Inseln eröffnet.

Hilfe von Dieter-Thomas Heck

Es ist 2007. Auch auf Langeoog gilt: ohne Wohnung kein Personal. Birgit Kolb-Binder geht das Problem pragmatisch an und kauft Immobilien. „Ich habe inzwischen mehr Betten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als für Gäste“, stellt sie heute fest. Sie vermietet auch an andere Betriebe. Damals findet sie einen großen Wohnkomplex, perfekt geeignet. Der Haken: Es gibt ihn nur im Gesamtpaket mit einem Hotel aus den 1970ern. Sie kauft trotzdem. „Nach dem Notartermin habe ich mir gedacht: Wie kannst du nur so einen Laden kaufen? Und dann noch auf der falschen Inselseite?“ Ein Konzept muss her, die Unternehmerin zieht sich zurück. „Das kennen meine Leute schon. Ich nenne das ‘ins Sterbeloch gehen’. Ich darf nicht angerufen werden, muss in mich gehen. Und irgendwann wollte auch niemand mehr Kontakt zu mir haben“, fügt sie sichtlich amüsiert hinzu. Warum? „Als das Retro-Konzept stand, habe ich mich mit allen Sinnen darauf eingestimmt. Dieter Thomas Heck lief in Dauerschleife.“ Sie plant akribisch, wälzt Tapetenbücher, entwirft Möbel. Der Lohn des monatelangen Prozesses: Das Retro-Design-Hotel erzeugt ein phänomenales Medienecho und schafft es in die großen
Einrichtungsmagazine. „Ich bin schon ein bisschen stolz. Design ist mittlerweile mein Hobby“, kommentiert die Autodidaktin bescheiden.

Kolb-Binders Handschrift zeigt sich inzwischen in all ihren Häusern. Das Grundthema ist meist maritim. „Aber eben nicht blau-weiß mit Schiffchen“. Viele Ideen sammelt sie bei Reisen um die Welt. Eine Leidenschaft, die sie von ihrer Mutter hat. Mit ihr ist sie als Jugendliche schon acht Wochen per Eastern-Oriental-Express durch Asien gereist. „Es ist nicht so, dass ich nach Ideen suche. Die Ideen finden mich.“ Und: Was sie nachhaltig beeindruckt, beeindruckt auch andere, hat sie gemerkt. Lässt so viel kreatives Selbstbewusstsein Platz für externe Beratung? „Klar, ich arbeite auch mit Architekturbüros zusammen. Andere haben schließlich auch tolle Ideen!”

Nordseeinsel Langeoog Dünenlandschafft ostfriesischen Insel
Der 14 Kilometer lange Strand auf Langeoog ist ein natürlicher Strand. Strandmauern, Buhnen oder andere Befestigungen sucht man vergeblich.

Von Beruf Genie

Früh legt Birgit Kolb-Binder Verantwortung auch in andere Hände. „Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind seit Jahrzehnten dabei. Meine Führungskräfte leiten die Häuser eigenständig, ich mische mich nicht ein.“ Im ‚Ältestenrat‘ der Betriebsleitungen sprechen alle auf Augenhöhe. Vertrauen und Freiheit – für die Chefin trotz Dominanz selbstverständlich, denn: „Ich habe das Talent, Talente zu finden. Es sind alles Menschen mit einer besonderen Gabe.“ Die Verantwortung übernehmen wollen und können, und die absolute Liebe zum Gast mitbringen.

„Unser Beruf ist, den Gast glücklich zu machen. Du musst vorher wissen, was er möchte“, hören alle Auszubildenden von ihr. Birgit Kolb-Binder hat das nicht gelernt, sie ist darin aufgewachsen. Bei der Einschulung fragt der Lehrer, was ihr Vater von Beruf ist. Sie kann nicht antworten. „Mir war das überhaupt nicht klar. Für mich war ein Hotel ein Zuhause und die Gäste Familienmitglieder.“ Der Vater erklärt: „Ich bin ein Genie, ich kann alles.“ Vermieter, Entertainer, Seelsorger und Handwerker. Tag und Nacht für die Gäste im Dienst. „Die Leistung unserer Branche wurde viel zu lange geringgeschätzt“, ärgert sich Kolb-Binder noch heute. Das hat sie als junge Mutter und auch zu Beginn ihrer Ratsarbeit auf der Insel gespürt.

Wirklich geändert habe sich das erst im Lockdown. Als niedersächsische Dehoga-Vizepräsidentin ist sie Sprachrohr der Branche und beobachtet, wie von der Kommunalpolitik bis in die Landesregierung ein Umdenken einsetzt: Ohne die Branche können wir nicht. Die habe in der Pandemie einen Digitalisierungs-Boost geschafft, dennoch stehe der größte Wandel erst bevor: die veränderten Urlaubsgewohnheiten neuer Generationen. Dazu das inzwischen europaweite Personalproblem. Die Lösung? „Digitalisierung. Die Gäste machen vieles selbst, Prozesse werden so geplant, dass man weniger Personal braucht. Motel One zum Beispiel macht da einen wirklich guten Job.“

Neuanfang auf dem Festland

„Ich empfinde meinen Beruf nicht als Arbeit. Das ist einfach mein Leben.“ Birgit Kolb-Binder denkt noch lange nicht ans Aufhören. Klar, für das Danach ist alles geregelt. Bis dahin genießt sie ihr Home-Office. „Einfach nicht mehr morgens aufzustehen und zu wissen: Ich muss“. Vor einigen Jahren hat sich die Familie ein neues Zuhause in Bad Zwischenahn geschaffen. Ihr Sohn leitet das 53 Grad Hotel. Sie selbst pendelt wöchentlich nach Hannover ins Dehoga-Büro, fährt oft nach Berlin. Und führt auch die Ehrenämter weiter. „Ich war immer der Meinung, ich muss was zurückgeben für die Destination, von der ich lebe.“ Ihre Inselbesuche sind eng getaktet. „Ich komme mit dem Schiff um 6.45 Uhr und gehe durch alle Läden. Wenn ich hinten auf dem Schiff stehe und das Wasser glitzert, das ist Heimat. Und bei längeren Aufenthalten ende ich auf jeden Fall nachts am Strand.“ Erholung findet sie im Urlaub beim Schnorcheln – und im Alltag in der Küche. „Ich liebe es, eine gute Gastgeberin zu sein. Corona hat das für mich ganz deutlich gemacht. Ohne Gäste zu sein war schrecklich für mich. Und auch ohne Kneipe. Wo lernt man besser neue Leute kennen?“ So kam sie zum Kochen. Autodidaktisch, klar. An der großen Tafel sitzen regelmäßig Freunde. „Davor schnibble ich hier stundenlang und kann mich dabei total entspannen.“ Spontane Ideen werden schnell telefonisch abgeklärt, und weiter gehts. Wenn es Birgit Kolb-Binder doch packt, sie ihre Gäste zu sehr vermisst, fährt sie schnell ins 53 Grad Hotel. „Dann gönn ich mir den Spaß und schmeiße den Tresen. Nur für zehn Minuten oder eine halbe Stunde, dann bin ich auch schon wieder weg“, lacht sie. Und das verschmitzte Funkeln in den Augen verrät, wie groß der Spaß für sie ist. Eben eine geborene Gastgeberin.