Zum Inhalt springen

Dr. Gerhard Kreutz

Prof. Dr. Gerhard Kreutz, Physiker und Präsident der Hochschule Emden/Leer

„Es war eine Zeit des Umbruchs und ich fühlte mich verantwortlich."

Welche Rolle spielen Hochschulen in der heutigen Welt? Für Professor Dr. Gerhard Kreutz, Präsident der Hochschule Emden/ Leer ist klar: Sie sind Motor der Regionsentwicklung und geben den Takt vor. Dabei setzt der Diplom-Physiker bereits seit Jahren auf eine enge Verknüpfung von Wissenschaft und Wirtschaft. 

Dr. Gerhard Kreutz

Der 21. Juli 1969 ist eines jener Daten, die sich tief ins kollektive Gedächtnis der Menschheit eingebrannt haben. Es ist der große Tag von Neil Armstrong und Buzz Aldrin. Mit ihnen betreten um 3.56 Uhr MEZ erstmals zwei Menschen den Mond – und rund 600 Millionen Zuschauer in aller Welt verfolgen die vorsichtigen Schritte der beiden amerikanischen Astro­nauten live vor ihren Fernsehgerä­ten.

Im nordrhein-westfäli­schen Sie­gen sitzt auch der 13-jährige Gerhard Kreutz gebannt vor dem Bildschirm. „Mein Vater hatte mich rechtzeitig geweckt“, erinnert sich der heutige Präsi­dent der Hochschule Emden/Leer an den historischen Moment vor mehr als 50 Jahren. Die Astro­nomie hat es dem Jungen angetan. Er verschlingt Bücher darüber, liest und sammelt die wöchentlich erscheinenden Hefte der Science-Fiction-Reihe Perry Rhodan. Sein Berufs­wunsch steht früh fest: Astrophysiker.

Mit ihren Coworking-Lounges ermöglicht die Hochschule Emden/ Leer studentisches Arbeiten in gemütlicher Atmosphäre.
Mit ihren Coworking-Lounges ermöglicht die Hochschule Emden/ Leer studentisches Arbeiten in gemütlicher Atmosphäre.

Ein Abstecher nach Norddeutschland – mit Folgen

Nach dem Abitur, das Kreutz als Klassenbester mit einem Notenschnitt von 2,1 abschließt, nimmt er das Physikstudium auf und kann dafür praktischerweise direkt vor Ort bleiben. Erst für die Promotion verlässt er das Siegerland und geht ans Deutsche Elek­tronen-Synchrotron DESY nach Hamburg. Der Abstecher in den Norden hinterlässt Spuren; Kreutz hat Nordseeluft geschnuppert. Und sie ist ihm gut bekommen, wie sich noch zeigen wird.

Zunächst aber folgt der Schritt zurück in die Heimat. Bei einem großen Maschinen- und Anla­genbauer ist der Diplom-Physiker ab 1986 in Siegen und Düsseldorf im Bereich Organisation und IT tätig. Er bleibt zehn Jahre. „Ich war alles andere als ein Job-Hopper, aber dann wurde es doch Zeit für einen Wechsel.“

Es zieht ihn zurück an eine Hochschule, am liebsten in Nord­deutsch­land. Als ihm aus Dortmund und Emden Professuren angeboten werden, tritt der Familienrat zu­sammen und legt sich schnell auf die Stadt am Dollart fest. „Das war eine der besten Ent­schei­dungen meines Lebens“, sagt Kreutz.

Ihm gefällt – in mehrerlei Hinsicht – vor allem die Größe Emdens. „Es ist natürlich nicht wie Hamburg. Aber Emden hat durchaus die Strukturen einer größeren Stadt, ist dabei jedoch über­schaubar und familiär geblieben. Man kennt sich und weiß recht bald, wen man bei welcher Frage kontaktieren sollte.“ Außerdem, so fügt Kreutz hinzu, sei man doch immer „ganz nah am Wasser“

Verantwortung in der Zeit des Umbruchs

An der damals noch so benannten Fachhochschule Ostfriesland tritt der 40-Jährige 1996 eine Professur für Rechnernetze an. Damit soll es eigentlich erstmal gut sein, denn: „Eine Karriere in der Hochschulverwaltung habe ich nie angestrebt.“ Und doch geht es mit dieser drei Jahre später los: Kreutz wird erst Dekan des Fachbereichs Elektrotechnik und Informatik, anschlie­ßend des Fachbereichs Technik und ab 2009 schließlich Vizepräsident für Forschung und Tech­nologietransfer. Nach dem Rücktritt der damaligen amtierenden Präsidentin wird er von der niedersächsischen Wissenschaftsministerin 2011 zu deren Nachfolger bestimmt.

„Es war eine Zeit des Umbruchs, und ich habe mich verantwortlich gefühlt“, erklärt Gerhard Kreutz heute seine Bereitschaft, das Amt anzunehmen. Tatsächlich gibt es die Hochschule Emden/Leer unter dieser Bezeichnung erst seit 2009. Sie war nach einem mehr als zähen Defusi­ons­prozess aus der zur Jahrtausendwende gegründeten Fachhochschule Oldenbur­g /Ostfriesland/Wilhelmshaven hervorgegangen.

Ihr Präsidium sieht es beim Neustart als eine seiner wichtigsten Aufgaben an, möglichst zügig ein zukunftsori­entiertes Profil als „Hochschule Ostfrieslands“ zu erarbeiten und so eine eigen­ständige Iden­tität zu erlangen. „Wir wollten und wollen die Region fördern und ihre Ausgangs­position im Wettbewerb mit anderen stärken“, sagt Kreutz. „Und das geht nur, indem wir den jungen Menschen hier eine Perspektive für ihr weiteres Leben bieten.“ Andernfalls werde es schwer, die gut ausgebildeten Fachkräfte zu halten.

Chancen im Wandel erkennen und nutzen

Die beschriebene Herausforderung ist nicht untypisch für Regio­nen, die vor allem ländlich geprägt sind und bei denen der Strukturwandel auf der Agenda weit oben steht. Dennoch, so Kreutz, unterscheide sich die Situation in Ostfriesland von der andernorts: „Bei uns brechen nicht einzelne, dominierende Branchen weg, und wir müssen auch nicht Abschied von einer überkommenen Technologie nehmen. In unserer Region geht es vielmehr darum, bestehende Schwerpunkte der Wirtschaft innovativ weiterzuentwickeln.“ Und davon sind so gut wie alle großen Unternehmen betroffen. „Das Emder VW-Werk wird auf Elektro­mobilität umgerüstet, bei der Windenergie sortiert man sich nach der Krise um und in der Kreuzfahrt­branche sind auch neue Konzepte gefragt. Zudem braucht die Region neue, innovative Unternehmen.“ 

Grundsätzlich biete der Wandel zwar die eine oder andere Stolperfalle, halte aber auch jede Menge Chancen bereit. Die müsse man erkennen und nutzen, gerade in der Zeit der Digitali­sierung, die viele Prozesse deutlich vereinfache.

Bei den notwendigen Entwicklungsschritten sieht sich die Hochschule in der zentralen Rolle einer treibenden Kraft, quasi als Motor und Taktgeber der Region. Kreutz: „Wir verstehen uns als Ideenliefe­ranten und Impulsgeber und stellen uns der Verantwortung dafür, Kon­zepte und Strategien für Innovationen zu liefern.“ Ein Beispiel ist die Initiative „Greentech Ostfriesland“. Durch sie soll ein plakativer und auf die Region zugeschnittener Begriff geschaffen werden, mit dem sich möglichst viele Partner identifizieren können.

Der Campus der Hochschule Emden/ Leer. Foto: Erhard Brühler/ Hochschule Emden/ Leer

Wissenschaft und Wirtschaft Hand in Hand

Als Initiator ist Kreutz stolz auf eine erste Zwischenbilanz: „Bis jetzt haben wir rund 80 Unter­nehmen und Gebietskörperschaften mit ins Boot holen können.“ Dabei hilft der Umstand, dass die Hochschule bereits seit Jahren den Transfer zwischen Wis­senschaft und Wirtschaft auf ihren Fahnen stehen hat.

Schon 2013 hatte der Prä­sident den Unternehmern in einem Interview signalisiert, man könne ihnen „ein breites Spektrum an Lösungs­möglichkeiten für unterschiedliche Problemstel­lungen“ anbieten. Die häufig projekt­bezogene Zusammenarbeit wird auch von den Firmen geschätzt. Aus den Chef­etagen hört man nur Positives darüber. Der Austausch stellt zweifels­ohne eine Win-win-Situation für alle Beteilig­ten dar.

Er selbst, so räumt Gerhard Kreutz freimütig ein, habe eine Entwicklung vom technikbegeis­terten (Mondlandung!) zum kritisch hinterfragenden Weltbetrachter durchgemacht. „Wir dürfen die Folgen technischer Entwicklungen nicht aus den Augen verlieren, sondern müssen sie immer in unsere Überlegungen mit einbeziehen“, formuliert er heute als Anspruch. Ein Schlüssel­erlebnis sei auch die Lektüre des 1972 vom Club of Rome veröffentlichten Berichts „Die Grenzen des Wachs­tums“ gewesen. „Vieles von dem, worüber wir heute in Zusammenhang mit Nachhaltigkeit sprechen, wurde darin bereits ausführlich the­ma­tisiert.“

Optimismus statt Kulturpessimismus

Gerhard Kreutz hat es verstanden, sich im Hochschulalltag trotz aller Belastungen den Blick für das große Ganze zu bewahren. Profilbildung und Strukturwandel, Digitalisierung und Nachhaltigkeit – das alles passt für den in Emden längst heimisch Gewordenen („Wir gehen hier nicht mehr weg!“) zusammen.

Und dem lauten, vermehrt um sich greifenden Kulturpessimismus unserer Tage kann er sowieso nichts abgewinnen, sondern bleibt grundsätzlich optimistisch. Auch und gerade für Ostfriesland. Man sei auf einem guten Weg. „Mit den Ideen, die wir in den letzten Jahren entwickelt und die es nunmehr zu einer gewissen Reife gebracht haben, können wir zuver­sichtlich in die Zukunft schauen“, bekräftigt er und fährt fort: „Eine ganze Reihe von Projek­ten aus der Region hat das Potenzial, bundesweit stark beachtet zu werden und zu zeigen: Die da oben links auf der Deutschlandkarte, die haben verstanden, worum es geht.“