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Matthias Groote

Matthias Grote, Landrat, Landkreis Leer

"Was in der Großstadt möglich ist, können wir auch hier auf dem Land angehen."

Einmal Brüssel und zurück – nach elf Jahren als Abgeordneter im EU-Parlament ist Matthias Groote 2016 in seine Heimat Ostfriesland zurückgekehrt. Als Landrat des Landkreises Leer hat Groote sich vor allem das Thema Digitalisierung auf die Fahnen geschrieben.

Matthias Grote, Landrat, Landkreis Leer, an seinem Schreibtisch
Matthias Grote, Landrat, Landkreis Leer

Als er 15 Jahre alt war, wollte Matthias Groote noch Kapitän werden. In den Sommerferien jobbte er auf einem Dampfer, später begann er eine Ausbildung beim Hamburger Logistik-Riesen Hapag-Lloyd. Doch wie so oft kam alles anders. Heute blickt Groote nicht nur auf eine Ausbildung als Industriemechaniker und einen Studienabschluss als Diplom-Wirtschaftsingenieur zurück, sondern vor allem auf elf Jahre als Abgeordneter im EU-Parlament. „Für die Kommunalpolitik habe ich mich schon immer interessiert, durch die Grenznähe zu den Niederlanden fand ich vor allem das Thema Europa sehr spannend“, schildert der SPD-Politiker. „Dass ich zum Abgeordneten in Brüssel wurde, war dann aber eher Zufall.“ Garrelt Duin aus dem Wahlkreis Aurich-Emden hatte sich damals für den Bundestag aufstellen lassen, ein Nachrückkandidat für seinen Sitz im EU-Parlament musste her. Groote sagte Ja und trat 2005 seinen Dienst an.

Montag bis Donnerstag also Plenarsitzungen in Brüssel und Straßburg, übers Wochenende Familienleben im beschaulichen Ostfriesland. Bei ihren Besuchen in Brüssel waren seine Töchter auch schon mal bei Sitzungen dabei. „Meine Kinder fanden meine Arbeit immer spannend. Was ich aber genau gemacht habe, verstehen sie erst jetzt, da sie älter sind“, sagt er schmunzelnd. Dabei nahm Grootes Tochter bereits im zarten Alter von drei Jahren an Klimaverhandlungen teil. „Dass die Kinder der Abgeordneten mit in den Verhandlungen sitzen, kommt häufiger vor, als man denkt.“ Vor allem bei den skandinavischen Kollegen sei es völlig normal, dass die Kinder, mit Buntstiften und Papier ausgestattet, gelegentlich mit im Sitzungssaal säßen.

Matthias Grote, Landrat, Landkreis Leer
Der Breitbandausbau im Landkreis Leer läuft auf Hochtouren. Davon überzeugt sich auch Landrat Matthias Groote persönlich. Foto: Landkreis Leer

Die erste Bewährungsprobe

Während die Kleinen also Bilder malen, stellen die Großen wichtige Weichen für die EU-Politik. Als er selbst das erste Mal im Parlament am Redepult stand, habe er ganz schön Manschetten gehabt, erinnert Groote sich heute. Kein Wunder, denn seine Zeit als Abgeordneter begann mit einer echten Bewährungsprobe: Groote wurde zum Berichterstatter für
die Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 ernannt. Im Parlament setzte er unter anderem ein Verbot der Abschaltautomatik bei Pkw durch – und resümiert: „Die Geschichte hat gezeigt, dass es genau der richtige Weg war. Eigentlich hätte man noch viel stärker durchgreifen müssen.“

Rückblickend beschreibt Groote die Zeit in Brüssel als spannend und erfahrungsreich. Vor allem die Arbeit im Umweltausschuss ist ihm in besonderer Erinnerung geblieben. Gemeinsam mit den Umweltministern der EU-Staaten kam er im Europäischen Rat zusammen, 2012 nahm er an der Weltklimakonferenz in Doha teil. „Eigentlich absurd, dass wir ausgerechnet in Katar, dem Land mit dem weltweit höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf, über Klimaschutz sprachen“, erinnert sich Groote an die Konferenz, deren Ergebnisse damals von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung treffend als „Mini-Kompromiss“ betitelt worden waren.

„Was wir beim Thema Klimaschutz schnell vergessen, ist, dass wir alle Länder brauchen. Europa verursacht weniger als 20 Prozent der globalen Emissionen. Es gilt, alle mitzunehmen, und genau da liegt die Herausforderung.“ Ein wichtiger Schritt wurde bei der Weltklimakonferenz 2015 getan, als 195 Staaten in das Pariser Klimaschutzabkommen einwilligten. Auch hier war Groote mit dabei.

Zurück zu den Wurzeln

Im Folgejahr beendete er seine Zeit im EU-Parlament. Eine neue Herausforderung sollte her – und zwar direkt vor der eigenen Haustür. „Nach zwanzig Jahren im Gemeinderat hat mich die Idee, als Landrat die Zukunft meiner Heimat unmittelbar mitgestalten zu können, schon gereizt.“ Bis 2030, so die Prognosen, wird der derzeit 174.000 Einwohner starke Landkreis Leer noch weiterwachsen. Um auch für die Zeit danach gut gerüstet zu sein, gelte es schon jetzt, die richtigen Weichen zu stellen. Nur so könne der fortschreitende Fachkräftemangel zumindest in einigen Bereichen aufgefangen werden, mahnt der Landrat: „Den demografischen Wandel dürfen wir bei allen Krisen, die derzeit unsere Aufmerksamkeit fordern, nicht aus den Augen verlieren.“

Eine Lösung sei die Digitalisierung im ländlichen Raum, denn: „All das, was in der Großstadt bereits möglich ist, können wir auch hier auf dem Land angehen.“ Das Thema Digitalisierung hat Groote schon immer begeistert. 2009 rief er das erste PolitCamp in Berlin ins Leben, 2011 folgte in Hamburg die Gründung des gleichnamigen Vereins. „Das PolitCamp war damals so eine Sonntagsidee auf Twitter“, erinnert er sich. „Wir haben zunächst die jungen Abgeordneten der Parteien zu einem Treffen rund ums Thema Netz- und Medienpolitik eingeladen. Was dann folgte, haben wir jedoch nicht erwartet.“ Die Resonanz war enorm, aus dem Treffen im kleinen Kreis wurde eine zweitägige überparteiliche Konferenz mit mehr als 600 Teilnehmenden. Diverse Fernsehteams berichteten über diese neue Form des Zusammentreffens, das PolitCamp wurde fortan zur jährlichen Veranstaltung.

Den Blick Richtung Zukunft

Nun also Digitalisierung made in Ostfriesland. Der Landkreis Leer weiß dabei zu überzeugen und konnte in den letzten Jahren ungeahnte Stärken entwickeln. Ein Hidden Champion? Im Grunde schon, denn typisch ostfriesisch sei es nun einmal, still und leise an guten Ideen zu werkeln, statt „viel zu klappern“, so Groote. Dabei können sich die vielen Projekte durchaus sehen lassen: Der Breitbandausbau läuft auf Hochtouren, einige Antragsverfahren sind im Kreishaus bereits vollständig digital möglich. Mit der Kfz-Zulassung per Drive-in ist der Landkreis Leer sogar Vorreiter in Deutschland. „Manchmal helfen Krisen uns, neue Ansätze zu finden“, erklärt Groote bescheiden. „Und dass Neuerungen über Nacht möglich sind, wenn nur alle an einem Strang ziehen, wissen wir spätestens seit dem 9-Euro-Ticket.“

Dennoch seien in den meisten Fällen die Wege noch immer zu langwierig und kleinschrittig. Man müsse all die Verordnungen und Gesetze
einmal entrümpeln, um endlich Fahrt aufzunehmen, findet Groote. „Wenn von der Planung einer Windenergieanlage bis zur Inbetriebnahme sieben
Jahre ins Land gehen, dann dauert das einfach zu lange.“ Bei allen bürokratischen Hürden verliert Groote das Ziel jedoch nicht aus den Augen: kreativ sein, nicht den Kopf in den Sand stecken und auf andere warten, sondern einfach mal machen. So zum Beispiel beim Thema Coworking-Space. „Haben wir, direkt am Hafen!“, sagt der Landrat stolz. Arbeitnehmer, die das New-Work-Prinzip schätzen, sind also kein reines Großstadt-Phänomen. So arbeitet hier zum Beispiel ein junger Däne, der für die Liebe nach Ostfriesland zog, für ein Unternehmen in Kopenhagen. Unter dem Titel „Ostfriesland auf Probe“ sollen fortan viele weitere junge Berufstätige und Existenzgründer in die Region gelockt und – noch viel wichtiger – auch dort gehalten werden.

Innovation trifft Bodenständigkeit

Dass die Region einiges an Lebensqualität bereithält, ist kein Geheimnis. Das findet auch Groote. Nur manchmal zieht es den leidenschaftlichen Fußballfan in die Großstadt, nämlich immer dann, wenn im Bremer Weserstadion seine Lieblingsmannschaft ins Flutlicht tritt. Sonst ist er fest in der Region verwurzelt. In seiner Freizeit schippert der Ostrhauderfehner gern mit dem Sportboot die Kanäle entlang, fährt mit dem Gravel Bike querfeldein oder hört auf den Musikfestivals der Region jungen Bands zu. Seit neuestem gehört auch der Weinanbau zu seinen Hobbys, denn mit der jüngst gegründeten Winzergenossenschaft wurde Ostfriesland 2021 zum vierzehnten Weinanbaugebiet Deutschlands. „Klingt erstmal ungewöhnlich, hat aber Hand und Fuß“, sagt Groote lächelnd. Und genau das sei typisch für die Ostfriesen. Zunächst werde kritisch nachgefragt, aber wenn sie eine Idee für gut befänden, seien sie schnell dabei.

Das Sautaler Tief ist ein Entwässerungskanal im Landkreis Leer. Foto: Kaja/ Landkreis Leer

Groote schätzt eben diese Bodenständigkeit. „Wir brauchen nicht viele Worte, um uns zu verstehen. Vielleicht liegt das auch daran, dass hier noch so viele Leute Plattdeutsch sprechen. Da lassen sich Dinge einfach schneller klären“, sagt er und berichtet sogleich vom Emder Kaufmannsmahl 2016, als er vom langjährigen Emder Oberbürgermeister Alwin Brinkmann gefragt wurde, ob er denn nun als Landrat kandidieren wolle. „Das lief ungefähr so ab: ‚Un?‘- ‚Wat?‘ – ‚Du weest wohl wat. Mok man.‘ Und damit hatten wir das geklärt“, berichtet Groote lachend.

Mit dem Landratsamt hat es bereits geklappt, der berufliche Weg für die nächsten Jahre liegt klar voraus. Und privat? Eines steht noch auf der Wunschliste. „Ich würde sehr gern meinen Segelschein machen. Nicht gleich für eine Weltreise. Das Große Meer in Aurich reicht fürs Erste auch.“ Also wird Matthias Groote am Ende doch noch einmal sowas wie ein Kapitän.