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Vanessa Gattung

Vanessa Gattung, Bürgermeisterin Papenburg, SPD

„Unsere Gesellschaft lebt von Menschen, die sich für ihr Herzensthema engagieren.“

Seit der Kommunalwahl 2021 stehen die Zeichen in Papenburg auf Umschwung. Vanessa Gattung ist nicht nur die erste sozialdemokratische Bürgermeisterin seit Ende des Zweiten Weltkriegs, sondern auch die erste Frau in diesem Amt seit 1810 – und macht einiges anders als ihre Vorgänger.

Museumsschiff und Rathaus in Papenburg.

„Dass ich einmal Bürgermeisterin werde, hätte noch bis vor ein paar Jahren niemals gedacht“, gibt Vanessa Gattung zu. Ihr Umfeld wohl auch nicht, denn als Kind war die gebürtige Offenbacherin sehr schüchtern, stand ungern im Mittelpunkt des Geschehens. Mitte der 90er-Jahre kam sie mit ihrer Familie aus der hessischen Großstadt ins beschauliche Emsland. Ihre Eltern hatten das stadtbekannte Café Stövchen von den Großeltern übernommen, fortan wuchs die damals Achtjährige am Papenburger Obenende auf. Trotz ihrer zurückhaltenden Art zog sich eine Leidenschaft durch ihre Schulzeit: das Amt der Klassensprecherin. „Ich habe gemerkt, dass es mir Spaß macht, mich für andere einzusetzen“, erinnert sie sich.

An eine politische Laufbahn dachte sie trotz allen Engagements damals noch nicht. Sie besuchte die Fachoberschule Gesundheit, absolvierte Praktika im Kindergarten und im Seniorenheim – eine bereichernde Zeit, wie sie rückblickend feststellt. Vor allem die Arbeit mit älteren Menschen bereitete ihr viel Freude und sollte sie für ihre berufliche Zukunft prägen. Nach dem Schulabschluss wollte Vanessa Gattung jedoch nur eines: raus aus der Komfortzone, mal was ganz Neues probieren – und zwar als Au-Pair in den USA. Zwei Jahre lebte sie bei einer Familie in Minnesota und kümmerte sich um deren Zwillinge. „Die Zeit mit den beiden Jungs hat mich ordentlich herausgefordert und komplett verändert. Ich bin als völlig anderer Mensch nach Hause zurückgekehrt“, sagt sie und fügt lachend hinzu: „Auf einmal war ich ganz selbstbewusst!“

Vanessa Gattung, Bürgermeisterin Papenburg, SPD
Vanessa Gattung, Bürgermeisterin Papenburg, SPD

Schritt für Schritt in die Politik

Zurück in Deutschland schrieb sie sich an der Universität Vechta für den Studiengang Gerontologie ein und arbeitete nebenbei als Werkstudentin im Hessischen Sozialministerium im Referat für Familie und Senioren. Ihre berufliche Laufbahn schien vorbestimmt. Immer mit dabei war die Hochschulpolitik, ein Feld, das für Gattung zunehmend interessanter wurde. 2015 trat sie schließlich in die SPD ein – ein Novum in der bis dato eher unpolitischen Familie Gattung.

Nach einem Auslandssemester mit Schwerpunkt Psychologie in Ecuador und dem Masterabschluss 2017 arbeitete die Papenburgerin zunächst in Osnabrück, unter anderem als Transfermanagerin für Gesundheit und Digitales an der Universität und Hochschule. „Ein spannender Job an der Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft, Wirtschaft und Politik“, beschreibt sie ihre Tätigkeit heute. Vor allem letzteres spielte in ihrem Leben eine immer größere Rolle. 2019 kandidierte Vanessa Gattung bei der Landratswahl, um weitere Erfahrungen zu sammeln, und fing endgültig Feuer für die kommunalpolitische Arbeit. „Hier vor Ort Dinge voranzutreiben und die Auswirkungen unmittelbar mitzuerleben, wurde für mich immer reizvoller.“

Dass die junge Frau bei der Landratswahl damals leer ausging, fanden die Papenburger tatsächlich ziemlich gut. „Wir würden dich nämlich viel lieber als Bürgermeisterin bei uns haben!“, hörte sie von allen Seiten. Und schon erschien Vanessa Gattung der Posten im Rathaus gar nicht mehr so abwegig. Also warf sie ihren Hut 2021 tatsächlich in den Ring. Ihr Wahlsieg war in mancherlei Hinsicht ein Novum. Immerhin 21 Männer gingen ihr im Amt voran, im Rathaus hielten seit Jahrzehnten die Christdemokraten das Steuer fest in der Hand.

Große Pläne für die erste Amtszeit

Der frische Wind, der bei Amtsantritt im November 2021 Einzug in den Fluren der Stadtverwaltung hielt, war für beide Seiten ungewohnt. „Auf einmal war ich für 350 Mitarbeitende verantwortlich. Natürlich packe ich manche Dinge anders an als meine Vorgänger, auch weil ich nicht die klassische Verwaltungslaufbahn genommen habe, sondern man mich gut und gern als Quereinsteigerin bezeichnen könnte“, sagt die Rathauschefin. Umso wichtiger war es ihr deshalb, von Beginn an mit allen an einem Strang zu ziehen. Mit den Führungskräften ging sie für einige Tage ins Kloster und schuf so den Grundstein für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. „Denn ich kann noch so gute Ideen haben: Wenn ich mein Team nicht von mir und meinen Fähigkeiten überzeugen kann, werde ich hier nichts bewegen.“

Auf die Fahnen schrieb sie sich schon im Wahlkampf das Thema Klimaneutralität. Die autarke Energieversorgung in Papenburg soll stärker vorangetrieben, Bürgerinnen und Bürger mittels Energiegenossenschaften direkt in den Prozess eingebunden werden. Auch die kinderfreundliche Kommune spielt für Vanessa Gattung eine wichtige Rolle in ihrer Arbeit als Bürgermeisterin, denn um zukunftsfähig zu bleiben, müssen die Jüngsten wieder stärker in den Fokus des Handelns rücken.

Bei allen Plänen, die sie aus dem Wahlkampf mit ins Amt nahm, brachte gerade das erste Jahr im Rathaus jedoch so manche andere Herausforderung mit sich. Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine, Inflation – bei allen großen Themen sei es mitunter nicht leicht, den Handlungsbedarf im Kleinen nicht zu vergessen. Dennoch fällt das Zwischenfazit positiv aus: „Bester Job der Welt!“, resümiert Gattung lächelnd. „Nein, im Ernst: Ich hätte mir meine Aufgabenbereiche vorher nie so spannend vorgestellt. Und das Wichtigste: Ich kann hier wirklich etwas bewegen. Das macht meine Arbeit jeden Tag aufs Neue wertvoll.“

Mit vereinten Kräften zum Erfolg

Wer an Papenburg denkt, denkt vor allem an eines: Kreuzfahrtschiffe. Die 1795 gegründete Meyer Werft wuchs über die letzten Jahrzehnte zu einem der führenden Schiffsbauunternehmen der Welt und ist mit mehr als 3.500 Beschäftigten der stärkste Arbeitgeber in der Region. „Ein tolles Aushängeschild, das unsere Stadt weltweit bekanntmacht. Die Anpackermentalität, die dieses Unternehmen groß gemacht hat, ist typisch für unsere Region und etwas, worauf wir bis heute sehr stolz sind“, findet Vanessa Gattung. Bei allem Lob, das man für die Meyer Werft einheimse, dürfe man aber auch die kleinen und mittelständischen Papenburger Unternehmen nicht vergessen. „Denn auch die gehören zu dem wirtschaftlichen Motor, der hier vor Ort alles am Laufen hält. Es ist kein Entweder-Oder, sondern ein Zusammen.“ Den kleinen Firmen dazu zu verhelfen, sich wieder repräsentierter zu fühlen, ist eines ihrer Ziele für ihre fünfjährige Amtszeit als Bürgermeisterin.

Zur Vorbereitung auf ihre Arbeit belegte Vanessa Gattung einige Seminare, etwa zu Körpersprache oder zum Reden schreiben. Ein Seminar für Frauen in männerdominierten Arbeitswelten beschreibt sie als besonders erkenntnisreich. „Wir Frauen dürfen manchmal ruhig etwas mehr sein wie die Männer: selbstbewusster. Und die Dinge nicht bis ins Kleinste durchdenken, sondern einfach mal machen.“ Sie selbst geht schon längst mit gutem Beispiel voran, fühlt sich pudelwohl in ihrer Rolle und packt die Themen an. Mehr Frauen in der Politik dürften es durchaus sein, findet sie, doch letztlich müsse jeder Mensch selbst wissen, ob er sich engagieren möchte – sei es auf der politischen Ebene oder im gesellschaftlichen Miteinander. „Unsere Gesellschaft lebt von Menschen, die sich für ihr Herzensthema engagieren. Das muss nicht gleich ein politisches Amt sein. Auch ein Ehrenamt im Ortsverein, abseits der großen Bühne, ist wertvoll für uns alle.“

Kreuzfahrtschiffe der MEYER WERFT haben Papenburg in aller Welt bekannt gemacht.

Ein starkes Netzwerk vor Ort

In Papenburg ist es um ebendieses Wirken im Hintergrund dank zahlreicher engagierter Bürgerinnen und Bürger hervorragend bestellt, findet die Bürgermeisterin. Sie schätzt vor allem die Kirchengemeinden und die vielen ehrenamtlichen Vereine, die immer dann mit helfender Hand bereitstehen, wenn es darauf ankommt. „Die Papenburger haben zum Beispiel blitzschnell Hilfsnetzwerke gespannt, als die vielen Menschen aus der Ukraine zu uns kamen“, erzählt Gattung stolz. „Dieser Zusammenhalt untereinander und die Selbstverständlichkeit, mit der Hilfe geleistet wurde, haben mich extrem beeindruckt.“ Hier in der Region ist man eben füreinander da. Nicht zuletzt deshalb ist es für Vanessa Gattung eine echte Herzensangelegenheit, sich für die Menschen vor Ort zu engagieren.

Allmählich hat sie sich an ihre öffentliche Rolle gewöhnt. Die Arbeit im Rathaus, die vielen externen Termine auf den verschiedensten Veranstaltungen, all das habe ihren Blick für Themen geöffnet, die ihr einmal mehr die Vielfalt Papenburgs aufzeigten. Viel Freizeit bleibt ihr bei allen beruflichen Herausforderungen jedoch nicht. „Gar kein Problem“, sagt sie lächelnd, „ich möchte schließlich möglichst viel mitnehmen. Mit jeder Veranstaltung, die ich als Bürgermeisterin besuche, lerne ich meine Stadt noch besser kennen und tauche in die unterschiedlichsten Themen ein.“ Fürs erste genügt ihr zum Kraft tanken der große Garten hinterm Haus: mit ihren drei Hunden am Teich sitzen, die Laufenten beobachten und einfach nur die Ruhe genießen.

Wo es sie in zwanzig, dreißig Jahren hin verschlägt, weiß Vanessa Gattung noch nicht. Dass sie sich eine zweite Amtszeit wünscht, darin ist sie sich jedoch schon jetzt sicher. Und dass sie das Zeug dazu hat, weiß sie ebenfalls, denn inzwischen geht sie selbstbewusst mit ihrem Können um. Nicht zuletzt dank der Zwillinge in Minnesota.