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Kea Bartling

Kea Bartling, Tätowiererin

"Die Energie, die im Vorgespräch entsteht, verbinden viele später mit dem Tattoo."

Erst das Tattoo und dann die Lust, selbst mit der Nadel zu arbeiten – die meisten Tätowiererinnen und Tätowierer finden so zu ihrer Profession. Und durch Learning by Doing. Doch es geht auch anders. Kea Bartlings Berufswunsch stand schon beim Abitur fest. Inzwischen hat die 28-Jährige 11 Jahre Berufserfahrung – und eine genaue Vorstellung davon, was sich an der Ausbildung ändern sollte.

Samtig weiches Fell, messerscharf blitzende Raubtierzähne oder Kinderaugen, die vor Leben sprühen – wer Bilder von Kea Bartlings Arbeiten sieht, realisiert oft erst auf den zweiten Blick, dass es sich nicht um Schwarzweißfotos handelt, sondern um Kunstwerke auf menschlicher Haut. Die junge Tätowiererin aus Neermoor spielt so geschickt mit feinsten Schattierungen, dass die Körperformen unmerklich in ihre Zeichnungen einfließen. Fotorealistic heißt der Stil, auf den sie sich spezialisiert hat. „Es gefällt mir persönlich gut und es liegt mir auch einfach. Klar arbeite ich auch mal Schriften oder Mandalas. Aber wenn ich fotorealistisch arbeite, kann ich mich total darin verlieren und komme in einen Flow.“

Kea Bartling, Tätowiererin aus Neermoor
Kea Bartling, die Tätowiererin in ihrem Studio

Vom Abitur ins Tattoo-Studio

Kea Bartling ist die Berufswahl pragmatisch angegangen. Zeichnen und Handwerkliches lagen ihr schon immer. Außerdem wollte sie kreativ sein und mit Menschen arbeiten. „Und am liebsten frei. So bin ich aufs Tätowieren gekommen“, blickt die Ostfriesin zurück. Kontakte zur Szene hat sie nicht, als sie nach dem Abi das ‚Little Harbour‘, das Studio von Markus Schloer in Leer, betritt, einen größeren Laden mit Angestellten und Laufkundschaft. „Ich stand da ganz spießig mit dem Lebenslauf in der Hand“ – und ohne selbst tätowiert zu sein. So wie auch noch heute. Dafür aber mit großer Motivation, Lernbereitschaft und Neugierde.

Kea Bartling hat Glück: Der erfahrene Tätowierer bietet ihr ein Praktikum an. „Ich war gerade erst 18 geworden, hatte keinerlei Erfahrung, nur einen Traum. Aber Markus hat ziemlich schnell etwas in mir gesehen und mich übernommen.“ Und damit auch die Verantwortung für ihre ersten Schritte ins Berufsleben. Er fragt, ob sie möglichst schnell Geld verdienen möchte oder das Handwerk lieber von der Pike auf lernen will. Kea Bartling entscheidet sich für Letzteres. So lötet sie noch selbst Nadelmodule, beschäftigt sich mit Sterilisierungsprozessen, saugt alles um sich herum auf und entwirft eigene Motive. Erst nach einem Dreivierteljahr sticht sie ihr erstes Tattoo.

Tätowieren ist kein geschütztes Berufsbild, es gibt keine geregelte Ausbildung. Viele bringen sich das Handwerk selbst bei, üben an sich, an Bekannten oder bei kostenlosen Auftragsarbeiten. Andere machen unbezahlte
Praktika in größeren Studios. Außerdem bieten die Gerätehersteller Seminare an; auch online finden sich Workshops zu Handwerk und Hygiene. 

Um arbeiten zu dürfen, genügt es, ein Kleingewerbe anzumelden. Umstände, die Kea Bartling nicht zuletzt aufgrund der stark wachsenden Branche kritisch sieht. „Ich hatte das Glück, dass meine Ausbildung sehr gründlich war, weil mein Lehrmeister sehr akkurat arbeitet.“ Und weil er Kundschaft hat, an der sie sich ausprobieren durfte. Denn: Es gibt zwar Kunsthäute, an denen sich angehende Tätowierer versuchen, auch an Schweineohren kann man üben, aber beides eignet sich nur bedingt.

Erste Stiche mit verbundenen Augen

Ihre ersten Arbeiten an Menschen erinnert Kea Bartling als Blindflug. „Ich hatte das Gefühl, die Nadel schwebt. Haut gibt kaum Widerstand, alles ist in Bewegung und voller Tinte. Das war wie mit verbundenen Augen zu arbeiten. Ganz fürchterlich in dem Moment.“ Ihre Freundin ist mit dem Schriftzug und der Rose trotzdem zufrieden. Kea Bartling sieht das Ergebnis selbstkritisch, ist fest entschlossen, ihre Technik zu perfektionieren. Schließlich bleibt das, was sie macht, für immer. „Heute fühle ich, wohin ich mit der Nadel gehe und wie ich meine Hand führen muss.“ Für die Kundschaft ist es immer wieder eine Überraschung, wenn nach dem Abwischen der Farbe ein perfektes Bild zum Vorschein kommt. Das Ergebnis von viel Übung. Der Preis: kostenloses Arbeiten.

Kea Bartling probiert an kleinen Motiven Techniken aus, die später für größere Motive essenziell sind. Sie setzt etwa Schattierungen, wo auch geschwärzt werden könnte. Oder übt exakte Linienführung. Immer mit einem Sicherheitsnetz. „Mein Chef hätte noch einen Millimeter daneben eine Außenlinie setzen können, dann wäre auch eine misslungene Linie wieder ordentlich.“ Sie hat einen hohen Anspruch an sich selbst und darf sich die Zeit auch nehmen. Fürs Tätowieren wie für die Beratung.

Von Anfang an steht Kea Bartlings Plan, sich mit dem Tätowieren das Studium zu finanzieren. Es klappt: Nach zwei Jahren schreibt sie sich an der Hochschule für Künste in Bremen für den Studiengang Digitale Medien ein. Noch vor dem Bachelor macht sie sich nebenbei selbstständig mit ihrem eigenen Studio. „Meine Eltern fanden es gut, dass ich mich traue, meine unkonventionellen Pläne umzusetzen. Gerade mein Vater war sehr für die Selbstständigkeit. Und mein Opa, der erst große Sorge hatte, dass ich durchs Tätowieren auf die ‘schiefe Bahn’ gerate, ist richtig stolz, dass ich mit meinem eigenen Studio seine Unternehmertradition weitertrage“, erinnert sie sich lachend.

In Ostfriesland verwurzelt

Viele Tattoo Artists reisen per Work and Travel um die Welt oder wechseln regelmäßig die Städte. Nicht so Kea Bartling. „Mir war immer klar, dass ich in der Heimat bleiben möchte.“ Zwei- bis dreimal jährlich fährt sie auf Conventions. Auf diesen Tattoo-Messen wirbt sie für sich, berät und sticht vor Ort. Ansonsten kommt die Kundschaft zu ihr ins Studio. So kann sie weiter auf dem Mehrgenerationenhof der Familie leben. „Die Tiere und die Feriengäste – das ist mein Ausgleich.“

Kea Bartling kann sich ihre Projekte heute aussuchen. In der Regel sind das großflächige Tattoos, an denen sie ganze Tage oder auch über mehrere Sessions arbeitet. Den Anfang macht immer ein intensiver Beratungstermin. „Viele denken, ein Tattoo ist etwas Oberflächliches, nach dem Motto Kleider machen Leute. Aber das ist nicht so. Manche Menschen machen damit eine Verwandlung durch.“ Ein Tattoo könne Menschen aufbauen, Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl geben. „Die Energie, die im Vorgespräch entsteht, verbinden viele später mit dem Tattoo.“ Wie etwa für die suchtkranke Person, deren Motive sie vom Rückfall abhalten sollen. „Wer nur vage ein geiles Tattoo haben möchte, bekommt gar nicht erst einen Termin.“

Kea Bartling übersetzt Gefühle, Erinnerungen oder Orte in Motive. An kunstvollen Collagen feilt sie mehrere Tage. Für die Tätowier Sessions reist die Kundschaft dann erneut an. Gearbeitet wird bis in den Abend hinein. Eine intensive Zeit ungeteilter Aufmerksamkeit.

Kea Bartling arbeitet an Tiefenwirkungen, Kontrasten, Lichteinfall, Strukturen, einem hohen Maß an Details. Maßgeschneiderte Designs, die zur Seele ihres Trägers passen.
Kea Bartling arbeitet an Tiefenwirkungen, Kontrasten, Lichteinfall, Strukturen, einem hohen Maß an Details. Maßgeschneiderte Designs, die zur Seele ihres Trägers passen.

Für die gemeinsame Sache

Seit 2022 ist Kea Bartling bei den Wirtschaftsjunioren und in der Vollversammlung der IHK für Ostfriesland und Papenburg aktiv. „Ich möchte helfen, für unser Berufsbild Strukturen zu schaffen. Andere
Branchen fühlen sich überreguliert, bei uns fehlt es an gemeinsamen Standards“, erklärt die Soloselbstständige ihre Motivation. Schon die Einordnung des Berufs sei schwer, es gibt Überschneidungen mit Handwerk, Kunst und Gesundheitsbranche. Von einheitlichen Rahmenbedingungen würden alle profitieren. Am wichtigsten ist ihr die Hygiene – für die Kundschaft, aber auch im Arbeitsschutz. Kea Bartling hat sich für ihr Studio aktiv Rat und Wissen von Fachleuten aus Medizin und Laboren geholt.

Ein geregelter Berufsstand würde auch bei der Lobbyarbeit helfen. Lange Zeit fehlten etwa Kennzeichnungspflichten für Farbpigmente – gleichermaßen wichtig für die Kundschaft wie für den persönlichen Arbeitsschutz. Bei den kürzlich erlassenen Regulierungen hätte sich Bartling jedoch mehr Zusammenarbeit mit der Branche gewünscht. „Da sind andere weiter.“ Auch in der rechtlichen Absicherung: Es gibt kaum bezahlbare Berufshaftpflichtversicherungen. Das wiederum erschwert Ausbildungsverträge. „Letztlich werden wir viel zu früh in eine Selbstständigkeit gezwungen. Das ist für keinen gut.“ Bartling könnte sich vorstellen, ihr eigenes Wissen als Dozentin in einer schulischen Ausbildung
weiterzugeben.

„Vielleicht muss die Ausbildung auch Geld kosten, genau wie in der Physiotherapie.“ Sie ist sich bewusst, dass nicht alle in der Branche ihre Wünsche und Vorstellungen teilen. Schließlich ist damit auch Aufwand verbunden. Aber Kea Bartling ist überzeugt, dass auf Dauer alle von einheitlichen Standards profitieren.

Für ihr Studio hat die Ostfriesin Umzugspläne. „Meine Kunden sollen ein noch runderes Gesamterlebnis bekommen. Dafür will ich auf
unserem Hof eine Diele ausbauen.“ Und dabei möchte sie auch ihr Angebot erweitern. Eine befreundete Therapeutin mit vielen Weiterbildungen bietet an, psychologische Beratungsgespräche zu den Tattoos zu führen. Damit
Menschen mit komplizierten Vorgeschichten Motive finden, die sie persönlich weiterbringen. Auch Workshops zum beruflichen Austausch auf Augenhöhe kann Kea Bartling sich auf dem Hof gut vorstellen.

Für ein anderes Projekt lässt sie sich hingegen noch Zeit: das erste eigene Tattoo. Vieles könne man in jungen Jahren noch nicht überblicken. Deshalb tätowiere sie auch am liebsten ältere Menschen. Und macht bei sich keine Ausnahme. „Das ist was fürs Leben. Der Körper sollte einem
heilig sein.“

TATTOO ART KEA

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