"Beim Teetrinken sind wir unangefochtener Weltmeister."
Tee ist mehr als nur Tee. Vor allem in Ostfriesland. Hier ist Tee Kulturgut und Teil der Lebensart. Die UNESCO hat die traditionelle ostfriesische Teezeremonie sogar in die Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Zu den Eckpfeilern dieser Kultur gehört seit 150 Jahren das Unternehmen Thiele & Freese in Emden.
Jemandem, der seine Liebe zum Tee noch nicht entdeckt hat, genau diesen schmackhaft machen? „Nichts einfacher als das“, sagt Franz Thiele und schenkt behutsam ein Tässchen ein. „Bloß nicht lange darüber reden, sondern einfach probieren lassen“, so lautet sein Rezept. Und ohne eine Miene zu verziehen, fragt er mit leicht ironischem Unterton nach, ob es denn überhaupt Menschen gebe, die keinen Tee trinken.
Ein kluger Einwand. Eigentlich kann das nicht sein, wie der Blick in die Statistik belegt. Nach Angaben des vom Deutschen Tee- und Kräutertee-Verbandes herausgegebenen Tee-Reports wurden im Jahr 2021 hierzulande knapp 95.000 Tassen Tee getrunken – pro Minute. Das heißt umgerechnet, der Durchschnittsdeutsche kommt auf rund 30 Liter im Jahr. Tendenz? Natürlich steigend. Aber 30 Liter? Nur 30 Liter? Darüber können Ostfriesen nur schmunzeln. Hier liegt der Wert etwa beim Zehnfachen.„Beim Teetrinken sind wir unangefochtener Weltmeister“, erklärt Franz Thiele stolz. Und er muss es wissen: Seit knapp 40 Jahren bestimmt der 1957 Geborene den Kurs bei einem der letzten verbliebenen Teeproduzenten im Nordwesten, der als Familienbetrieb geführt wird.
Vom Kolonialwarenladen zum Tee-Spezialisten
Ein kurzer Gang durch die Firmengeschichte. Keimzelle ist ein Kolonialwarengeschäft, das die beiden Kaufleute Carl Thiele und Peter H. Freese am 1. Mai 1873 in Emden gründen. Zwei Jahre später stößt Carls Bruder Franz zu dem Duo. Mit ihm gewinnen der Import und der Handel von Tee mehr und mehr an Bedeutung. Nachdem Freese 1901 das Unternehmen
verlässt, gehört es ganz der Familie Thiele. Carl und Franz, seine Tochter Magdalene und seine Söhne Fritz und Franz sowie ihr Vetter Gebhardt steuern die Firma geschickt durch die turbulente erste Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs übernimmt Franz sen. – Sohn des Gründers – das Ruder. Der Stammsitz des Unternehmens ist wie große Teile der Emder Innenstadt zerbombt, aber die Marke Thiele hat die Katastrophe überlebt. Franz Thiele organisiert den Wiederaufbau, managt den Einkauf und kümmert sich sogar persönlich um die Gestaltung des bis heute verwendeten charakteristischen Firmenlogos. Sein selbstbewusster Slogan bezieht die ganze Region mit ein:„Ostfriesen trinken Thiele Tee“. Und das „zu jeder Tageszeit und bei jeder Gelegenheit“, wie sein Sohn – ebenfalls Franz –betont.
Mit gerade 26 Jahren, aber in der Hamburger Speicherstadt bestens ausgebildet und gewissermaßen mit Teewasser getauft, steigt er 1983 in die Geschäftsführung ein und bestätigt im Jahr des hundertjährigen Firmenjubiläums zwei Grundsätze: einen zur Tradition und einen zur Qualität. An beide hält er sich bis heute. Aus tiefster Überzeugung.
Vor dem nächsten Generationswechsel
Generationswechsel entwickeln sich in vielen Unternehmen häufig zu einer sehr speziellen Herausforderung, auch in familiär geführten. Unterschiedliche Erwartungen machen den Einstieg ebenso schwer wie den Ausstieg. Nicht so im Hause Thiele. „Ich bin da Stück für Stück reingewachsen“, sagt Franz Thiele. Es habe für ihn auch andere Optionen gegeben, aber er habe sich sehr bewusst für eine Fortführung der Tradition
entschieden.
Den Übergang von einer Generation zur nächsten sieht er als spannende Phase und als fortlaufenden Prozess an. „Man kommt mit dem Blick von außen und bewertet Strukturen und Abläufe möglicherweise anders als der Vorgänger“, macht Franz Thiele deutlich. Modernisierung hält er für wichtig, man müsse die Marke lebendig halten. „Aber das geht nicht im Hauruckverfahren.“ Entscheidend sei, den Kern des Betriebs und seinen Leitgedanken zu bewahren.„Darauf müssen sich die Kunden und die Mitarbeiter verlassen können.“
Sohn Lennart stimmt ihm zu. Er hat eine Reihe von Aufgaben im Betrieb übernommen, verantwortet beispielsweise neben der Digitalisierung, der Administration und dem Personalbereich auch den Online-Handel. Bestellungen gehen über das Internet regelmäßig aus aller Welt in Emden ein. Druck von den Eltern habe er nie gespürt, berichtet Lennart. „Sie ließen mir durchweg freie Hand bei der Berufswahl.“ Nur eine gemeinsame Absprache gab es: Mit spätestens 30 Jahren sollte der Junior, geboren 1988, bekanntgeben, ob er als vierte Generation die Führung der Firma übernehmen werde.„Wir wollten, dass seine Entscheidung reift und nicht zu früh und überstürzt aus dem Bauch heraus getroffen wird“, betont Mutter Celine.
Respekt vor der ostfriesischen Teekultur
Celine Thiele stammt aus Hamburg. Der Sprung aus der Elbmetropole nach Ostfriesland habe sie herausgefordert, erinnert sie sich lachend. Längst aber ist sie in Emden heimisch geworden. In der Firma hat sie sich ihren Platz als Geschäftsführerin erarbeitet, auch wenn es anfangs angesichts einer rein männlichen Führungsebene nicht ganz leicht gewesen sei. „Aber ich habe mich durchgesetzt“, bemerkt sie fröhlich.
Heute gilt ihre große Leidenschaft dem nur einen Katzensprung vom Unternehmenssitz entfernt gelegenen Thiele Tee Kontor. Schnell findet man sich hier abseits der Einkaufshektik zu einem „Koppke“ genannten Tasse zusammen, erfährt allerlei Wissenswertes über die klassische ostfriesische Teezeremonie und kann sich das eine oder andere Tütchen für zuhause einpacken lassen. Die tief in der Region verwurzelte Teekultur hat es Celine besonders angetan: „Ich empfinde höchsten Respekt vor der Art, wie die Ostfriesen mit dem Tee verbunden sind.“
Ehemann Franz Thiele weiß, woran das liegt. Tee stehe für Werte – etwa für ein gepflegtes Miteinander und für die Kunst zu genießen, für Gelassenheit
und Gemütlichkeit. „Fürs Chillen, wie die jungen Leute heute sagen.“ Eine gute Gelegenheit für Sohn Lennart einzuhaken: „Grundlage für all das ist natürlich die Qualität des Produkts. Die müssen wir jederzeit sicherstellen.“ Um das Qualitätsversprechen etwa für Thiele-Klassiker wie den kräftigen und aromatischen „Broken Silber“ einhalten zu können, arbeitet das Unternehmen schon seit seinen Anfangstagen mit Teegärten im Tal des Brahmaputra-Flusses in der nordindischen Provinz Assam zusammen. Es handelt sich um das größte Anbaugebiet der Welt. Die Kontakte zu den Eigentümern der Teegärten werden vertrauensvoll von einer Generation zur folgenden weitergegeben. Franz Thiele freut das: „Das ist immer noch ein Handshake-Business.“
Solisten für ein gut klingendes Orchester
Im oberen Stockwerk der kleinen Manufaktur am Emder Falderndelft warten Franz und Lennart Thiele Mitte Mai bereits auf die ersten Geschmacksmuster. Im Probierzimmer prüfen sie die frisch eingetroffenen Teeproben nach Geruch, Aussehen und Geschmack. Bis zu 600 Proben verkosten sie am Tag. Bei der Kontrolle sind die Tee-Sommeliers ganz in ihrem Element. Ihre Devise: keine Kompromisse! Häufig geht es um kleinste geschmackliche Nuancen, aber gerade diese machen das Geheimnis des Erfolgs der Echt Ostfriesischen Mischungen aus.
Um das richtige Mischverhältnis zu erzielen, spielt Erfahrung bei den Testungen eine ebenso große Rolle wie Feingefühl und Sorgfalt. Lediglich sechs Wochen bleiben den Profis während der Haupteinkaufszeit im Mai und Juni. Die besten Partien sind begehrt, die Konkurrenz schläft nicht. Also gilt es, schnell zu sein.
Um seine Arbeit zu beschreiben, greift Thiele gern zu einem Vergleich mit der Musik: „Ich bin der Dirigent und mir stellen sich unzählige Solisten vor, also die verschiedenen Teesorten. Und jetzt muss ich erkennen, welche davon am besten miteinander harmonieren und sich im Orchester ideal ergänzen.“ Also ein gleichbleibendes Geschmackserlebnis garantieren. Darauf und nur darauf komme es an, sagt Franz Thiele.
THIELE & FREESE GmbH
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