"Wir dürfen uns nicht selbst kleinreden!"
Holger Heymann hat klare Vorstellungen davon, wie sich Ostfriesland in den kommenden Jahren weiterentwickeln soll. Die Region soll zur Energiedrehscheibe Deutschlands werden, die Digitalisierung die Chancengleichheit mit den großen Städten sichern – und das alles in einem lebenswerten Umfeld. Als Landrat des Kreises Wittmund will er weiterhin seinen Teil dazu beitragen.
Kein Bleistift und kein Kugelschreiber. Keine Mappe mit noch unbearbeiteten Papieren. Nicht einmal eine kleine Box mit Büroklammern. Lediglich Telefon und Laptop haben auf Holger Heymanns Schreibtisch Platz gefunden. Der Landrat des Kreises Wittmund bezeichnet sich selbst als Verfechter der Digitalisierung – und zeigt sich konsequent darin. Das papierlose Büro: In seinem Arbeitszimmer ist es längst Wirklichkeit. Ähnlich aufgeräumt gibt sich Heymann im Gespräch am großen Besprechungstisch. Erstmal eine Tasse Tee zum Warmwerden. Kurzes, doch interessiertes Vorgeplänkel. Danach beantwortet er alle Fragen konzentriert auf den Punkt und vermeidet unnötige verbale Schlenker ins gedankliche Nirgendwo. Gelegentlich – vor allem beim Blick auf die eigene Biographie – begleitet ein Schmunzeln seine Worte. Wenig später aber, als er auf die speziellen Herausforderungen zu sprechen kommt, die sein Amt mit sich bringt, wird Heymann schnell wieder ernst. Insbesondere das Thema Pandemie lässt keine Heiterkeit zu.
EIN RÄTSELHAFTES AUF UND AB
In den ersten Corona-Monaten hatte der Landkreis Wittmund gleich mehrfach die bundesweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Mal war das Pendel in die eine Richtung ausgeschlagen, mal in die andere. In der einen Woche waren die Inzidenzen viel niedriger als in allen anderen Regionen Deutschlands. Wenig später fielen sie plötzlich weit höher aus. „Dieses merkwürdige Auf und Ab können wir uns bis heute nicht erklären“, räumt Heymann ein und spricht von „statistischen Momentaufnahmen“. Ein Krisenstab wurde installiert, immer wieder traf sich die Gruppe zu Beratungen im Katastrophenschutzkeller. „Das alles war für uns Neuland, wir mussten uns erst zurechtfinden.“
Die Zeit im beinahe dauerhaften Krisenmodus hat ihre Spuren hinterlassen. Heymann wertet sie rückblickend als bislang schwerste Phase seiner Amtszeit. „Wenn plötzlich Begriffe wie Leichensack oder Kühlmöglichkeiten im Krisenstab auf den Tisch kommen, oder wenn Sie im Tagesgeschäft unmittelbar mit dem traurigen Schicksal ganzer Familien konfrontiert sind, dann kann Sie das nicht kaltlassen.“ Im Gegenteil, fügt er nachdenklich an, „das frisst einen auf“.
Wenig überraschend: Wer ein Amt wie das des Landrats bekleidet, muss auf den Luxus einer randscharfen Trennung zwischen öffentlichem und privatem Leben weitgehend verzichten. „Man nimmt viele Gedanken mit nach Hause“, weiß Holger Heymann zu berichten. Zudem wird man auf der Straße von den Leuten auf die Themen angesprochen, die ihnen auf den Nägeln brennen – beim Schützenfest ebenso wie beim Bäcker. „Fürs morgendliche Brötchenholen brauche ich eigentlich nur drei Minuten, manchmal dauert es dann doch eine halbe Stunde.“ Aber, und da zeigt sich der Mittvierziger von seiner pragmatischen Seite, „mir ist ja schon bekannt, worauf ich mich einlasse, wenn ich mich auf den Posten bewerbe“. Klar ist indes auch: Ohne den Rückhalt der Familie ist die Übernahme einer solchen Aufgabe nicht denkbar.
Wunderbare Jahre in der Kindheit
Heymann wuchs als erster Sohn einer Textilfachverkäuferin und des Platzmeisters des örtlichen Klinkerwerks auf einem „typisch ostfriesischen Drei-Generationen-Hof“ in der Gemeinde Neuschoo auf. Er erinnert sich gern an „wunderbare Jahre“ mit den Großeltern, mit Schweinen und Hühnern. „Ich habe meine Kindheit dort genossen“, bestätigt er.
Mit der Schule sah es ähnlich aus. Das Lernen fiel dem kleinen Holger leicht. Doch als es darum ging, ihn aufs Gymnasium im nahen Esens zu schicken, kamen Zweifel auf. Die Frage stand im Raum, ob sich die junge Familie das leisten kann. Beantwortet wurde sie andernorts, und der heutige Landrat ist im Nachhinein froh darüber: Die seinerzeit vom späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder als Ministerpräsident geführte Landesregierung etablierte 1991 die Lernmittelfreiheit in Niedersachsen. In Neuschoo atmeten Eltern und Sohn auf. „Aus Dankbarkeit bin ich später in die SPD eingetreten“, erklärt Holger Heymann. Sein Schmunzeln verrät, dass es dafür noch weitere Gründe gegeben haben wird.
Nach dem erfolgreich abgelegten Abitur absolvierte er seinen Zivildienst in der Evangelischen Jugendbildungsstätte Asel. „Die Arbeit unter anderem
mit den Menschen mit Behinderungen hat mich damals nachhaltig geprägt und meinen Blick auf die Welt geweitet“, sagt er. Es folgte eine am Ende doch eher kurze Episode als Lehramtsstudent. „Ich wollte Lehrer für Deutsch und Geschichte werden, habe dann aber bald festgestellt, dass das nichts für mich ist.“ Stattdessen entschied sich Heymann für eine Ausbildung zum Bankkaufmann – und für erste Schritte auf dem politischen Parkett.
Von Neuschoo nach Hannover und zurück
Mit gerade 24 Jahren zog Holger Heymann 2001 als jüngstes Mitglied in den elfköpfigen Gemeinderat von Neuschoo ein. Sein Antrieb: lokale Probleme anpacken. Er machte seine Sache so gut, dass er 2006 erneut in das Gremium gewählt wurde. „Ich konnte immer schon gut reden und zuhören, mich aber auch wirklich kümmern – das hat die Leute wohl beeindruckt.“ Den nächsten Schub bekam die Karriere weitere drei Jahre später, als Bürgermeister Theodor Storck ankündigte, aufhören zu wollen. „Da wurde ich dann als Nachfolger ins Spiel gebracht.“ Und vom Rat gewählt.
Was sich wie eine Erfolgsgeschichte liest, hat allerdings einen kleinen Schönheitsfehler. 2008 hatte sich Heymann nämlich für die SPD um einen Landtagssitz beworben. Dass sein Kontrahent von der CDU, immerhin der spätere Landtagspräsident Hermann Dinkla aus Westerholt, das Direktmandat errang, sieht er nicht als Makel an: „Ich bin Sportler und weiß, dass Verlieren zum Wettbewerb gehört.“ Außerdem: Jede Niederlage steigert den Ehrgeiz. Und so stand Heymanns Name 2013 erneut auf dem Wahlzettel. Und siehe da, diesmal klappte es mit der Wahl.
Von Neuschoo nach Hannover. Ein großer Schritt. SPD und Grüne verfügten im Landtag gemeinsam über eine knappe Mehrheit von nur einer Stimme. Das bedeutete Anwesenheitspflicht für alle Abgeordneten der Koalition. Konsequenz: Der junge Vater bekam seinen 2014 geborenen
Sohn nur selten zu sehen. Die Lösung des Dilemmas kam zwei Jahre später, 2016, von außen. Wittmunds damaliger Landrat Matthias Köring wechselte in die Wirtschaft; im Hause Heymann trat daraufhin der Familienrat zusammen.
Ergebnis: Holger Heymann stellte sich zur Wahl. Schon im ersten Durchgang erreichte er die notwendige absolute Mehrheit. Die Fahrten nach Hannover waren damit vom Tisch. Das Kreishaus in Wittmund wurde zum neuen und zum wohnortnahen Arbeitsplatz des Holtriemers. Im September 2021 bestätigten die Bewohnerinnen und Bewohner des Landkreises Heymann mit über 80 Prozent der Stimmen im Amt. Dass es keinen Gegenkandidaten gab, sieht er einerseits als Bestätigung seiner Arbeit an: „Es war wohl niemand überzeugt, es besser machen zu können.“
Andererseits bedauert er das Fehlen einer Konkurrenz: „Demokratie lebt von Auswahl.“
Über diese und alle weiteren Tätigkeiten und Ehrenämter informiert er im Übrigen in einer umfangreichen und öffentlich zugänglichen Liste. „Transparenz ist neben Authentizität und Kommunikationsfähigkeit im politischen Geschäft – so wie ich es verstehe – am wichtigsten“, macht Heymann deutlich. Eine klare Position, die gut zu einem aufgeräumten Schreibtisch und einem geordneten Leben passt.
Transparenz und Authentizität
Mit den Amtskollegen in den benachbarten Kreisen und kreisfreien Städten ist sich Holger Heymann einig darin, dass Ostfriesland über großes Potenzial verfügt, häufig aber noch unterschätzt wird. Die Zusammenarbeit wurde deshalb vertieft. „Wir dürfen uns nicht selbst kleinreden, denn wir haben in den vergangenen Jahren in vielerlei Hinsicht große Sprünge nach vorn getan“, gibt er sich überzeugt. Und ein Ende der überaus positiven Entwicklung sei noch lange nicht in Sicht. Die Digitalisierung auf der Halbinsel sei weit fortgeschritten und erhöhe die Chancengleichheit mit anderen Regionen. Zudem entwickle sich Ostfriesland zur Energiedrehscheibe. So leiste etwa sein Landkreis durch die Nutzung der Speicherkavernen in Friedeburg einen entscheidenden Beitrag zur Versorgungssicherheit.
Auch Erholungssuchenden, sagt Heymann, habe die Region viel zu bieten, gerade angesichts des Trends zum Urlaub im eigenen Land. Die Aussage kommt nicht von ungefähr, ist der 45-Jährige doch nicht nur Aufsichtsratschef der Tourismusagentur Nordsee, sondern auch Vorsitzender des Tourismusverbands Niedersachsen. Das Ziel ist klar definiert: Marktanteile behaupten und ausbauen im Wettbewerb der Fremdenverkehrsregionen in Deutschland.
Über diese und alle weiteren Tätigkeiten und Ehrenämter informiert er im Übrigen in einer umfangreichen und öffentlich zugänglichen Liste. „Transparenz ist neben Authentizität und Kommunikationsfähigkeit im politischen Geschäft – so wie ich es verstehe – am wichtigsten“, macht Heymann deutlich. Eine klare Position, die gut zu einem aufgeräumten Schreibtisch und einem geordneten Leben passt.